Biografie Gumpel
WIR ERINNERN AN
- HEDWIG GUMPEL
- DR. MAX GUMPEL
Hedwig Gumpels Lebensweg endete im November 1942 mit Freitod am Familiengrab auf dem Jüdischen Friedhof in Bernburg1, kurz nachdem die letzten Juden aus der Stadt deportiert worden waren, die Stadt somit als „judenfrei“ galt. Wie konnte es dazu kommen?
Hedwig Gumpel wurde am 26. Juli 1872 in Thorn (Westpreußen; heute Torun) geboren. Die Hochzeit mit Ludwig Gumpel am 9. September 1894 in ihrer Geburtsstadt ist derzeit noch die erste bekannte Angabe aus ihrem Leben. Ihr Ehemann entstammte einer seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Bernburg mit einem Textilgeschäft ansässigen Familie, war 12 Jahre älter als sie und lebte zu dieser Zeit in Hamburg, wo er 1894 eine Damenmäntel-Fabrik unter seinem Namen betrieb. 1896 firmierte diese Unternehmung mit dem Inhaber Siegfried Leyser, Hedwigs Bruder, der offenbar mit ihr nach Hamburg gekommen war. Er starb an seinem 32. Geburtstag 1898, während die Firma unter Ludwig Gumpels Namen noch bis 1900 eingetragen war – in diesem Jahr waren Ludwig und Hedwig Gumpel mit ihrer ersten Tochter Fanny aber bereits vier Jahre von Hamburg nach Bernburg gezogen2.
Wusste Hedwig, dass Ludwig in Hamburg am 18. April 1888 bereits schon einmal Vater geworden war? Vermutlich nicht. In der Geburtsurkunde von Gustav Ludwig Wenzel ist er nicht vermerkt, ebenso wie im Adoptionsvertrag, den er vermittelt hatte. Die Mutter, Friederike Wenzel, konnte als einfache Kellnerin das Kind nicht aufziehen, und so erhielt das Baby ein neues Zuhause bei der Hafenarbeiterfamilie Gustav Schmidt. Vermutlich hatte Ludwig Gumpel diese Lösung bereits vor der Geburt des Sohnes mit Zahlung einer unbekannten Geldsumme organisiert, um danach von Unterhaltszahlungen und weiteren Verpflichtungen befreit zu sein. Gustav Ludwig Schmidt, wie der Junge nun hieß, fiel in der Schule durch überdurchschnittliche Leistungen auf, wurde gefördert, konnte schließlich studieren und wurde Studienrat. Sein erstgeborener Sohn (geboren am 23. Dezember 1918) erhielt den Vornamen Helmut. Helmut Schmidt wurde 1974-82 der fünfte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Sein biologischer Großvater väterlicherseits ist der Bernburger Ludwig Gumpel. (Klarheit über diese Identität schuf erst Gerrit Aust in seiner Publikation „Gumpel, Wenzel, Schmidt – die unbekannten Vorfahren von Helmut Schmidt“)
In Bernburg gründete Ludwig Gumpel kurz nach der Erteilung der Bürgerrechte 1896 mit dem gleichaltrigen Wilhelm Samson das Bankhaus „Gumpel & Samson“ in bester Stadtlage, Kaiserstraße 13. Hedwig Gumpel kümmerte sich um den Hausstand und die Kindererziehung. Als zweites Kind wurde 1898 Siegfried geboren, ihm folgte 1901 Max. Ein schwerer Schicksalsschlag traf die Familie, als 1911 Siegfried im Alter von 12 Jahren an den Folgen eines Unfalls starb. Er wurde als erster in einem großen Familiengrab auf dem Jüdischen Friedhof bestattet. Vielleicht reifte danach der Entschluss, nochmals einem Kind das Leben zu schenken. Sohn Herbert wurde 1913 geboren.
Hedwig erlebte in der Folgezeit die vielen Höhen und Tiefen des Bankgewerbes. Die schweren Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und die anschließende Inflation ließen die Privatbank straucheln – die Darmstädter und Nationalbank Berlin übernahm das Bankhaus; Ludwig Gumpel und Wilhelm Samson blieben jedoch Hauptaktionäre. Beide waren zu dieser Zeit bereits über 60 Jahre alt, jedoch wuchs in Max Gumpel aus der eigenen Familie ein überdurchschnittlich begabter Nachfolger heran. Zwei Jahre vorfristig – als 17-Jähriger - legte er in Bernburg 1918 sein Abitur ab, eine Ausnahmeerscheinung! Mit 22 promovierte er an der Universität Freiburg i. Br. zum Dr. rer. pol. Mit seinem Sanierungskonzept gelang es ihm, die Bank Gumpel & Samson am 1. Dezember 1923 wieder in den Familienbesitz zu überführen. Fortan hatte der Vater nur noch repräsentative Aufgaben, während der noch fast jugendliche Max die Geschäfte führte. Max – sportlich, gutaussehend, hochintelligent, vermögend - war für die aufkommenden Nazis in der Stadt eine Reizfigur. Die NS-Zeitung „Der Mitteldeutsche“ vom 24. Juni 1932 nannte seinen Namen als Drahtzieher für Krawalle in der Wilhelmstraße zwischen Nazis und Kommunisten, wodurch er veranlasst wurde, einen Tag später in der Presse eine Erklärung „Es ist hieran kein wahres Wort“ abzugeben. Ein paar Monate später existierte die Demokratie nicht mehr und eine „Erklärung“ eines Juden war undenkbar. Dr. Max Gumpel wurde noch vor dem Boykott-Tag am 1. April 1933 in „Schutzhaft“ genommen und der Bank per Verfügung des Anhaltischen Staatsministeriums Major a. D. Dahm aus Dessau als staatlicher Treuhänder vorangestellt. Die Zeitungen druckten die übelsten Anwürfe gegen Dr. Max Gumpel, jedoch verurteilte ihn das Gericht in Dessau nur zu einer geringen Strafe. Tragisches ereignete sich 1935. Während eines Kuraufenthaltes in Karlsbad verstarb Ludwig Gumpel am 2. Juli 1935. Die zweite Grabstelle des Familiengrabes wurde belegt. Am 16. August 1935 gab „Der Mitteldeutsche“ ein Extra-Blatt mit der Überschrift „Bankjude Gumpel in Schutzhaft“ heraus. Dr. Max Gumpel wurde in das KZ Lichtenburg bei Wittenberg eingeliefert. Er konnte es erst verlassen, nachdem er der Enteignung der Bank zugestimmt hatte. Gemeinsam mit seiner Mutter und Ehefrau Ingeborg, geb. Thies, Tochter eines nichtjüdischen Augenarztes aus Dessau, verließ er Bernburg in Richtung Berlin. Das Bankgebäude ging in das Eigentum der Sparkasse des Kreises Bernburg über. In die Wohnung im 1. Obergeschoss zog Oberbürgermeister Eggert ein. Es handelte sich um den einzigen Fall in NS-Deutschland, dass bei der „Arisierung“ einer jüdischen Bank eine Sparkasse Nutznießerin war. Am 15. April 1936 wurde das Gebäude nach umfassender Sanierung bezogen.
Dr. Max Gumpel erkannte in Berlin, dass es in Deutschland für die Juden nicht besser werden würde. Vergeblich versuchte er, seine Mutter Hedwig zur Ausreise nach England zu bewegen. Hedwig Gumpel blieb somit ab 1937 allein in Berlin zurück. Die wichtigste Verbindung zur alten Heimat blieb der Baalberger Gärtner Franz Hartling, der von der Familie Gumpel mit der Grabpflege betraut war. Er äußerte in einer Eidesstattlichen Erklärung vom 9. Februar 1946 beim Finanzamt Bernburg, er habe Hedwig Gumpel bereits in Berlin, als sie dort „geheim wohnte“, mit „Lebensmitteln aller Art“ versorgt. Diese hätte er vom Bauern Hans Hahndorf erhalten. Nachdem in Berlin unmittelbar nach der berüchtigten Wannsee-Konferenz über die „Endlösung der Judenfrage“ (Januar 1942) systematische Deportationen begannen, gelang es Hedwig Gumpel, Berlin zu verlassen und unerkannt Baalberge zu erreichen. Franz Hartling erklärte: „Ich habe dann, als Frau Gumpel auch aus Berlin flüchten mußte, diese im Jahre 1942 vom Juli bis zu ihrem Freitod im November 1942 bei mir in Baalberge verborgen gehalten und habe, wenn ich Lebensmittel gebrauchte, diese stets bereitwillig für Frau Gumpel von Herrn Hahndorf erhalten.“ Hartlings Gärtnerei befand sich an der Straße zwischen Bernburg-Roschwitz und Baalberge (heute befindet sich auf dem Gelände ein Autohaus). Unter diesen widrigen Lebensbedingungen musste die Nachricht von der letzten Deportation von Bernburger Juden am 16. November 1942 für Hedwig Gumpel schockierend gewesen sein und ihr den letzten Lebenssinn genommen haben. In der Nacht vom 25. zum 26. November 1942 verließ die 70-Jährige ihr Versteck, ging die sechs Kilometer bis zum Jüdischen Friedhof, um sich am Familiengrab mit Gift das Leben zu nehmen. Am 26. November 1942 fand Veronika Bieler, die vormalige (nichtjüdische!) Angestellte der Israelitischen Gemeinde Bernburg, die tote Hedwig Gumpel und bekam einen Schock3. Die Bestattung der Leiche nahm wohl Hans Hartling vor. Im Januar 1946 kam Dr. Max Gumpel als britischer Offizier nach Bernburg auf den Jüdischen Friedhof. Er wies die Stadtverwaltung an, die Leiche seiner Mutter ordnungsgemäß zu bestatten und die Grabplatte mit ihrem Namen zu setzen. So wurde die dritte Grabstelle des Familiengrabes belegt4.
Mit dem Stolperstein für Hedwig Gumpel wird nicht nur an ein besonders markantes Zeugnis der grauenvollen Unmenschlichkeit, das sich für eine Bürgerin der Stadt Bernburg direkt in ihrer Heimatstadt ereignete, erinnert. Zugleich zeigt das Verhalten von Franz Hartling, Hans Hahndorf und Veronika Bieler, dass mutiges menschliches Verhalten in der NS-Zeit zwar lebensgefährlich, aber möglich war.
1www.bundesarchiv.de/gedenkbuch
2Aust, Gerrit: Gumpel, Wenzel, Schmidt: die unbekannten Vorfahren von Helmut Schmidt. – Hamburg, 1994, S. 10
3Bungeroth, Dietrich: Spurensuche. – Bernburg. 1993. – S. 71f
4Pohlmann, Rolf: Spuren der jüdischen Anverwandten des Kanzlers Helmut Schmidt. – Bernburg, 2002. S. 33ff
Autor: Joachim Grossert
Informationsstand: Oktober 2020